DAAD-Chefin: „Wissenschaft kennt keine Grenzen“
Was bedeutet der Brexit für das Erasmusprogramm und die Wissenschaftler in Großbritannien? Im Interview gibt Prof. Margret Wintermantel, Präsidentin des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD), ihre Einschätzung. Von Simon Hartmann
In den ersten Tagen nach dem Brexit werden verschiedene Bilder benutzt, um die Situation zu beschreiben. Die einen reden vom „Independence Day“, die anderen vom Zerbrechen einer europäischen Idee. Wie bewerten Sie die Situation?
Ich finde sie schlimm. Der Brexit wird die Kooperationen zwischen britischen und europäischen Universitäten und anderen Hochschulen erschweren. Für die Hochschulen, für die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler und für die Studierenden war das keine gute Entscheidung.
Im Rahmen der Bremain-Kampagne haben renommierte Wissenschaftler um den Atomphysiker Steven Hawking einen Appell an die Briten gestellt und auf die Einschränkungen für europäische Wissenschaftler hingewiesen. Was wird sich für die Forscher in England ändern?
An den britischen Universitäten sind besonders viele Deutsche beschäftigt. Das Land ist insgesamt sehr attraktiv und die Qualität der Universitäten hoch, auch jenseits von Oxford, Cambridge und dem Imperial College.
Ich bin vor kurzem in Cambridge gewesen und wir haben dort über die Konsequenzen des möglichen Brexit gesprochen. Alle waren besorgt: Der freie Austausch von Ideen, die Selbstverständlichkeit der Universitäten, zu kooperieren, gemeinsam Workshops und ‚Summer Schools’ auszurichten und von EU-Fördergeldern zu profitieren. All das steht jetzt zur Debatte.
Aktuell sind 4.400 deutsche Studierende mit dem Erasmusprogramm in Großbritannien, weitere 18.000 Deutsche sind regulär eingeschrieben. Erasmusstudierende müssen keine Studiengebühren zahlen, EU-Bürger studieren mit einem vergünstigen Tarif. Was kommt jetzt auf uns zu?
Es ist zu befürchten, dass das Studium sehr viel teurer wird. Denn die Studiengebühren in Großbritannien sind gerade in den letzten Jahren enorm gestiegen. Wenn die Briten ihre Offenheit für Studierende aus europäischen Ländern behalten wollen, dann muss auch darüber verhandelt werden.
Kann in diesem Kontext die Schweiz zeigen, wohin die Reise geht? Dort wurde das Erasmusprogramm vor zwei Jahren beendet. Die Zahl der Schweizer Studierenden, die ins Ausland gehen, blieb konstant, weil die Regierung dort ein eigenes, nationales Stipendiensystem geschaffen hat. Hingegen ist die Zahl der europäischen Studierenden, die in die Schweiz gehen, drastisch gesunken.
Ob das ein Modell auch für Großbritannien ist, muss geprüft werden. In Großbritannien herrschen andere Bedingungen. Was man aber an diesem Beispiel sehen kann, ist, dass kluge Verhandlungen auch zu einem Erfolg führen können. Es steht völlig außer Frage, dass Verhandlungen möglich und wichtig sind.
Während Großbritannien sich von den europäischen Studierenden abwendet, hat die Bundesregierung andere Pläne. Im Koalitionsvertrag steht, dass bis 2020 jeder zweite Studierende Auslandserfahrung haben soll. Wie sehen die Entwicklungen hier aus?
Wir sehen ein steigendes Interesse an einem Auslandsaufenthalt während des Studiums. Durch die Bologna-Reform sind die Möglichkeiten, ins Ausland zu gehen größer geworden. Der DAAD unterstützt dies natürlich sehr. Denn wir sind der Meinung, dass es nicht nur für die Fachkompetenz, sondern auch für die Persönlichkeitsentwicklung der Studierenden förderlich ist, Auslandserfahrung zu machen.
Ein Dauerbrenner in der Hochschulpolitik bleibt dabei die Anerkennung von Auslandskursen. Wie kann der DAAD auf die Hochschulen einwirken?
Wir empfehlen, im Vorfeld so genannte „Learning Agreements“ abzuschließen. Diese Verträge sollen absichern, dass im Ausland erbrachte Leistungen an den Heimathochschulen anerkannt werden.
Die Bundesregierung will auch die Zahl der ausländischen Studierenden an deutschen Hochschulen auf 350.000 Personen erhöht. Ist dieses Ziel umsetzbar?
Derzeit studieren 320.000 Personen aus der ganzen Welt an unseren Hochschulen. Diese Zahl zeigt, dass das Ziel bis 2020 erreicht werden kann. Wir freuen uns, dass junge Menschen zum Studium nach Deutschland kommen, und dies zeigt auch, wie attraktiv das deutsche Hochschulsystem ist, auch andere Länder bemühen sich um internationale Studierende
Während Großbritannien also dabei ist, der Wissenschaft die Tür vor der Nase zu zuschlagen, macht Deutschland die Tore auf. Was halten Sie von der Entwicklung in Großbritannien im Vergleich zu Deutschland?
Wir bedauern, dass Großbritannien jetzt diesen Weg geht, denn wir sind überzeugt, dass Europa einen intensiven Wissenschaftsaustausch und vielfältige Kooperationen braucht, um international wettbewerbsfähig zu bleiben. Wir freuen uns natürlich, dass unsere Hochschulen so attraktiv sind, obwohl wir nicht den Wettbewerbsvorteil der englischen Sprache haben (lächelt).
Als Schlusswort, warum ist internationaler Austausch überhaupt wichtig für die Wissenschaft?
Wissenschaft kennt keine Grenzen. Wissenschaft war und ist immer international. Deshalb ist der internationale Austausch in der Wissenschaft selbstverständlich. Im Rahmen der Globalisierung rückt die Welt zusammen; alles wird komplexer. Man muss auch sehen, dass Dinge woanders, anders gemacht werden, und dass sie nicht unbedingt schlechter gemacht werden, als bei uns.
Es ist aber auch für Studierende wichtig, für Menschen, die einmal Verantwortung übernehmen werden, internationale Erfahrung machen. Sie sollen internationale Erfahrungen sammeln, sie sollen verstehen, was interkulturelle Unterschiede eigentlich sind und inwieweit man sie überbrücken kann. Dabei kann man auch lernen, wie gut es für eine offene Gesellschaft ist, selbst offen für andere Perspektiven zu sein.
Frau Professorin Wintermantel, vielen Dank für das Gespräch.
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