Die gute Ausbildung von Schülerinnen und Schülern müsse der Maßstab für die Lehrerausbildung sein. Das fordert Michael Daemgen, Alt-Präses des Verband liberaler Akademiker (VLA). Dass die angehenden Lehrer Latein können, hält er dabei für notwendig. Von Michael Daemgen

Daemgen

Michael Daemgen hält das Latinum weiterhin für notwendig. (Foto: privat)

Kinder sind von Geburt an Weltmeister im Lernen. Eigentlich sind sie geborene Physiker, bis wir ihnen mit etwa vier Jahren das Fragen abgewöhnen. In der weiterführenden Schule weicht dann die anfängliche Begeisterung anderen Fragestellungen, wie: „Mathe? Wozu brauch ich das?“ In dem hier schon seit längerem zur Diskussion stehenden Fach Latein entscheiden sich aktuell viele Schüler allerdings für das Fach, weil das Latinum für eine ganze Reihe von Studienfächern derzeit noch Voraussetzung ist.

Angesichts der Sprachentwicklung zum Beispiel der alt-indischen oder ugro-finnischen Sprachen ist Latein sicher nicht die Mutter aller Sprachen. Aus didaktischen Gründen ist Latein aber als Modellsprache bei den meisten europäischen Sprachen für Lehrer und Schüler eine sehr empfehlenswerte Grundlage, fördert logisches Denken und Konzentration. Wer sich mit den Satz-Konstruktionen auseinandersetzt, lernt die Grammatik moderner Sprachen leichter.

„Wer antike Quellen nicht kennt, kann Shakespeare nicht verstehen“

Aber nicht nur für das Erlernen von Fremdsprachen, sondern auch, um geschichtliche und politische Zusammenhänge zu erkennen, ist das Studium der Originalquellen für den Unterricht vorteilhaft, dazu sollte die Lehrerin mindestens Latein können, besser auch noch Alt-Griechisch. Schließlich fußt insbesondere die europäische Geschichte und Kultur in großen Teilen auf der Antike. Wer antike Quellen nicht kennt, kann Shakespeare nicht verstehen. Wer noch nie etwas von Ciceros Reden „Gegen Verres“ gehört hat, kann auch Politik nicht verstehen. In internationalen Patentprozessen habe ich erlebt, dass US-amerikanische Juristen häufig Rechtsgrundsätze auf Latein zitieren, um Eindeutigkeit herzustellen.

Es gibt also gute Gründe, die Pläne des NRW Schulministeriums abzulehnen, die Lateinpflicht für Lehramtsstudenten an den Universitäten aufzuheben und für Geschichts- und Philosophie-Lehrer ein „abgesenktes Niveau“ einzuführen. Geradezu haarsträubend ist die ideologisch geprägte Begründung von Ministerin Löhrmann, die darin einen Beitrag zur Bildungsgerechtigkeit sieht: Wer Latein fordert, grenze Leute aus, „die nun mal das Pech oder das Glück gehabt haben, Latein nicht gelernt zu haben“.

Vorurteilslose Lehrer braucht das Land

Nur in wenigen anderen Ländern wie in Deutschland hängt der Bildungserfolg so stark davon ab, welche Ausbildung und welches Einkommen die Eltern haben. Das liegt aber nicht daran, dass Akademikerkinder von vorneherein schlauer sind, sondern unter anderem daran, dass sie bis zur Einschulung 30 Millionen Wörter mehr hören als Arbeiterkinder. Statt das Niveau für alle abzusenken, kommt es hier besonders auf gute und vorurteilslose Lehrer an, während die ständigen Strukturveränderungen durch Bevorzugung von Gesamtschulen und Abschaffung der Hauptschulen den bisher benachteiligten Kindern gar nicht geholfen haben.

Die Forderung des LHG Landesverbands NRW nach mehr Freiheit für die Studierenden bei der Auswahl ihrer individuellen Schwerpunkte im Studium darf nicht zu Lasten der Schüler gehen, die nämlich Anspruch auf bestmögliche Bildung haben. „Praxisorientiert“ darf nicht heißen, Schüler bereits in der Schule auf Ausbildung oder Studium vorzubereiten, sondern es gilt, die bildungspolitischen Ziele zu erreichen, die aus liberaler Sicht etwa lauten:

  • Selbstbestimmung und Verantwortlichkeit des Einzelnen erweitern,
  • statt Anpassungsleistung ein individuell motiviertes und kooperatives Leistungsverhalten zu entwickeln,
  • demokratisches Handeln in einem demokratischen Bildungssystem.

Zum Erreichen dieser Ziele reicht die Lateinpflicht bei der Lehrerausbildung selbstverständlich allein nicht aus, auch andere Fächer wie Kunst, Mathematik (gehört nach internationalem Maßstab zu den Geisteswissenschaften), Physik und Wirtschaftslehre haben einen allerdings häufig unterschätzten Bildungswert. Letztendlich kommt es immer auf die Lehrerin an, die ihr Fach beherrscht und die Schüler dafür begeistern kann, sich damit weiter zu beschäftigen.


Die hier veröffentlichte Meinung spiegelt nicht unbedingt die Beschlusslage der LHG Nordrhein-Westfalens wider. Die Redaktion stellt den Autoren frei, welche Form der geschlechtergerechten Sprache sie verwenden möchten. (Red.)


Zur Person

Michael Daemgen hat mit dem Abitur im Jahre 1966 den Nachweis des Graecums und des großen Latinums erworben. Als Diplom-Chemiker und Doktor-Ingenieur arbeitete in verschiedenen Industriefirmen und Behörden. Michael ist Alt-Präses beim Verband liberaler Akademiker (VLA), dem Alumniverein der Liberalen Hochschulgruppen.