Ein stolzeres Handwerk wünscht sich Micha Fertig (Foto: Privat).

Ein stolzeres Handwerk wünscht sich Micha Fertig (Foto: Privat).

Das Abitur ist kein Indikator mehr dafür, ob eine Person für ein Studium geeignet ist oder nicht. Hier liegt die eigentliche Ursache für die neue Überakademisierung und für den Verfall klassischer Lehrberufe. Das meint Micha Fertig, der ein duales Studium absolviert. Von Micha Fertig

Natürlich verlangt das Abitur nach wie vor viel Fleiß, Aufwand und besonders Zeit. Abiturienten können sowohl hervorragende Leistungen in den sogenannten „harten“ Fächern wie den Naturwissenschaften bringen, aber auf der anderen Seite können sie sich das Abitur auch durch sportliche Leistungen, handwerkliches Geschick und zahlreiche Präsentationen sichern.

So betrug die Studienberechtigtenquote 2014 mehr als 50%. Dieses Bestreben ist an sich lobenswert und kann selbstverständlich niemandem individuell vorgeworfen werden. Die offensichtlich politisch gewollte, inflationäre Verteilung des Abiturs führt allerdings zu einem gesellschaftlichen Druck: Kinder müssen definitiv das Abitur erhalten, darunter zählt scheinbar nichts mehr.

Handwerk muss selbstbewusster auftreten

Jede Person, die sich dagegen entscheidet, drei Jahre länger auf der Schule zu verbringen und direkt eine Ausbildung beginnt, wird in der Konsequenz häufig schief angesehen. Hier muss gerade das Handwerk selbstbewusster für seine bestehende Qualität werben und diese weiter steigern. Nur so kann die Ausbildung mit dem Bachelor konkurrieren.

Die eigentliche Rückmeldung, ob eine Person für ein Studium geeignet ist oder nicht, erhält die betroffene Person somit erst nach den ersten Semestern des Studiums, die bekanntermaßen dafür genutzt werden, einen erheblichen Teil der Studenten wieder ‚auszusieben‘. Im schlechtesten, aber leider nicht seltensten Fall verliert die Person mit Abitur und Probesemester(n) mindestens dreieinhalb Jahre, in der eine Ausbildung bereits absolviert wäre.

Öfter Leistungsfeedback

Natürlich, niemand will ein „zurück“ zur „alten Schule“. In einer globalen Welt verändert sich das zu vermittelnde Wissen, neue Fächer entstehen, Kompetenzschwerpunkte werden anders gelegt. Nichts spricht gegen ein durchlässiges Bildungssystem, das in Perfektion dazu geeignet ist, Leistung zu honorieren.

Aber klare Signale an Schüler müssen bereits in der Schulzeit gesendet werden und stellen keine Diskriminierung dar, sondern dienen diesen als Orientierung. Das nutzt dem Handwerk, den Hochschulen und dem Individuum am meisten.


Die hier veröffentlichte Meinung spiegelt nicht unbedingt die Beschlusslage der LHG Nordrhein-Westfalens wider. Die Redaktion stellt den Autoren frei, welche Form der geschlechtergerechten Sprache sie verwenden möchten. (Red.)


Zur Person

Micha Fertig studiert dual Chemieingenieurswesen an der Hochschule Niederrhein in Krefeld. Beim Bundesverband Liberaler Hochschulgruppen ist er stellvertretender Vorsitzender für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit.